piwik no script img

Israels Kriegsverbrechen in GazaDie Banalität des deutschen Nichtstuns

Pauline Jäckels
Kommentar von Pauline Jäckels

Selbst der Bundeskanzler sagt inzwischen, Israels Vorgehen in Gaza sei inakzeptabel. Warum sich der deutsche Israelkurs trotzdem nicht ändert.

Halten an ihrer Haltung zu Israel fest: Bundeskanzler Merz (CDU) und Vizekanzler und Bundesfinanzminister Klingbeil (SPD) Foto: Annegret Hilse/reuters

A lle sehen es, wissen es, die meisten sagen es sogar offen: Israels Vorgehen in Gaza – das Aushungern, das Töten, die schrittweise Umsetzung des Plans zur Zwangsumsiedlung – ist nicht zu rechtfertigen.

Unter denjenigen, die das schon lange so sehen, gab es einmal diese Hoffnung: Wenn nur genug Menschen in diesem Land verstehen würden, was in Gaza passiert – dass es Israel nicht primär um Verteidigung, sondern um Vernichtung geht – dann müsste sich selbst Deutschland mit allen Mitteln gegen die israelischen Verbrechen stellen.

Jetzt sind wir – weit über 60.000 Tote zu spät – an diesem Punkt angekommen. 80 Prozent der Bevölkerung halten Israels Kriegsführung für falsch. Selbst der Kanzler nennt sie inzwischen „inakzeptabel“. Und steht zunehmend unter Druck, mehr zu tun, als Israel mit „großem Nachdruck“ aufzufordern, sich bitte anders zu verhalten. Die SPD-Fraktion regte sich diese Woche endlich mal mit einem Statement für einen Kurswechsel. Und 130 Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt forderten den CDU-Außenminister Johann Wadephul auf, zu handeln.

Merz betont zwar ständig, man sei einig – es stimmt nur schlichtweg nicht

Warum also tut die Bundesregierung immer noch nichts? Die Antwort ist so grotesk, wie sie angesichts der Tragweite des Nichtstuns – im Sinne Hannah Arendts – banal ist. Statt alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um einen Genozid zu verhindern, sind Lars Klingbeil und ­Friedrich Merz damit beschäftigt, einen Streit in ihrer Koalition und ihren Parteien zu verhindern.

Merz Gerede von Einigkeit ist schlichtweg falsch

Merz betont zwar ständig, man sei sich in der Sache ja einig – es stimmt nur schlichtweg nicht. Jede kritische Regung der vergangenen Monate, etwa von Wadephul, provoziert heftigen Gegenwind aus zwei Ecken: der CSU und einem Kern von CDUlern, die bis jetzt Israels Kriegsführung verteidigen. Merz müsste hier ein Machtwort sprechen, um dem Wunsch der SPD nach einem anderen Kurs nachzugehen.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Und selbst die SPD ist nicht so geschlossen, wie das Statement aus der Fraktion es vermuten ließe. Oder haben Sie irgendwann mal ein kritisches Wort zu Gaza aus dem Mund der Parteichefin vernommen? Bärbel Bas zählt zu den starken Ver­fech­ter*in­nen des Israelkurses ihrer Partei. Klingbeil ist zwar kritischer als Bas – bereit, aus der Sache einen offenen Konflikt mit der Union entstehen zu lassen, ist er aber auch nicht.

Warum halten so viele aus Union und sogar SPD am deutschen Israelkurs fest? Die einen tun es aus Angst vor der konzertierten Diffamierung – durch den Springer-Verlag, die is­rae­li­schen Botschaft, den Lobbyisten Volker Beck und weitere –, die garantiert kommt, wenn sie sich kritisch äußern. Die anderen argumentieren intern mit deutschen Interessen: geheimdienstliche Zusammenarbeit, Infrastrukturprojekte, Rüstungsim- und -exporte, Donald Trump nicht verärgern – um nur ein paar zu nennen.

Im kleinen Kosmos der Berliner Haupststadtpolitik mag das „Sinn“ ergeben. Im großen Ganzen, in Anbetracht des menschlichen Leids, das man so weiterhin unterstützt, ist es abgrundtief falsch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Pauline Jäckels
Meinungsredakteurin
Redakteurin im Meinungsressort seit April 2025. Zuvor zuständig für die parlamentarische Berichterstattung und die Linkspartei beim nd. Legt sich in der Bundespressekonferenz gerne mit Regierungssprecher:innen an – und stellt manchmal auch nette Fragen. Studierte Politikwissenschaft im Bachelor und Internationale Beziehungen im Master in Berlin und London.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • "...dann müsste sich selbst Deutschland mit allen Mitteln gegen die israelischen Verbrechen stellen."



    Das dachte ich bereits, würde nach dem ersten Beschluss des ICJ vom 26. Januar 2024 aufgrund der Klage von Südafrika passieren. Das steht u.a.: "Der Gerichtshof wies Israel an, Maßnahmen zu ergreifen, um Völkermord im Gazastreifen zu verhindern und ... humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zuzulassen sowie generell mehr Maßnahmen zum Schutz der Palästinenser zu ergreifen."



    en.wikipedia.org/w...ase_against_Israel



    Ist 1,5 Jahre her, die Aktionen Israels vor Ort und die deutsche Haltung bis heute sind bekannt.



    "Die einen tun es aus Angst vor der konzertierten Diffamierung ..., die garantiert kommt, wenn sie sich kritisch äußern." Sehr mutig, das einmal auszusprechen. Nirgendwo wird der Anti-Antisemitismus-Feldzug so scharf geführt wie in De. Der Globale Süden, das dürften so 75% der Weltbevölkerung sein, schüttelt nur mit dem Kopf und spricht von einer ständigen Verwechslung von Judaismus und Zionismus.

  • Heute hat ein Sprecher der IDF gesagt, das HAMAS NICHT systematisch die Hilfsmittel der UN Organisationen in Gaza gestohlen hat. Ich finde das spektakulär und natürlich entzieht das GHF alle Grundlagen. Ich hoffe, das dies eine Änderung zum Besseren ankündigt, auch wenn dieses idiotisch Argument immer noch in Leserbriefen wiederholt wird.



    www.nytimes.com/20...core-android-share

  • Auch die taz gehört(e) zu den Medien bei denen man Israel und Völkermord nicht gemeinsam erwähnen durfte. Und bis heute darf man prominente Deutsche jüdischen Glaubens nicht für ihre Verteidigung des Völkermordes in Gaza rügen.

  • "Selbst der Kanzler nennt sie inzwischen „inakzeptabel“."

    Wer die Bundespressekonferenz regelmäßig verfolgt (bei der Pauline Jäckels ja lange ebenfalls dabei war und die Regierung mit kritischen Fragen gepickst hat :-) ), der weiß: das ist schon zur Zeit der Ampel nicht anders gewesen. Auch dort wurde regelmäßig "das Vorgehen verurteilt", "auf die Einhaltung des Völkerrechts gepocht" etc. Das sind und waren alles Lippenbekenntnisse. Dass das unter einer cdU-Regierung nicht besser werden konnte, war klar.

    Und ich bin mir nicht sicher, ob die Analyse hier stimmt. Der Konflikt zwischen cdU/csU kann es in der Ampel nicht gewesen sein. Und sollte die Regierung wirklich Angst vor der Springerpresse haben und deswegen die offenkundig starke Meinung der Bevölkerung ignorieren? Regiert uns die Springerpresse schon? So, wie die Politik - nicht nur in Bezug auf Israel - aussieht, kann das gut sein.

  • Man hat keine Worte mehr

    In usa versucht man Abtreibungen generel zu untersagen, hier in Deutschland diskutiert man ob eine Richterin, die eine zeitgemäße Position zu Abtreibungen vertritt, die Eignung als Verfassungsrichterin hat .

    Kommentar bearbeitet. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation.

    • @Oliver Wagner:

      Ja schon, Tatsachen gefallen dem einen oder anderen nicht.



      Selbstbildnis hat halt oft mit der Wirklichkeit wenig zu sein.



      Umkehr ist ein schmerzhafter Weg